
SIPAZ-Aktivitäten (von Mitte November 2024 bis Mitte Februar 2025)
13/03/2025
FOKUS: „Chiapas in der Spirale bewaffneter und krimineller Gewalt“
10/06/2025
D as Verhältnis zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten ist historisch von großer Komplexität geprägt – einerseits durch enge Zusammenarbeit und gegenseitige Abhängigkeit, andererseits durch handelspolitische Spannungen und Souveränitätskonflikte. Diese Herausforderungen haben sich seit der Rückkehr Donald Trumps ins Präsidentenamt im Januar 2025 besonders verschärft.
Im Februar verabschiedete der mexikanische Senat eine Verfassungsreform, die darauf abzielt, die Prinzipien der Nichteinmischung und nationalen Souveränität zu stärken. Der Vorschlag wurde von Präsidentin Claudia Sheinbaum eingebracht, nachdem die Regierung Trumps die mexikanischen Kartelle von Sinaloa, „Jalisco Nueva Generación“, „del Golfo“, „del Noreste“, „die Nueva Familia Michoacana“ sowie die „Cárteles Unidos“ als terroristische Organisationen eingestuft hatte. Diese Entscheidung schürte Befürchtungen über eine mögliche Intervention US-amerikanischer Sicherheitskräfte in Mexiko. In der Reform wurde festgelegt, dass keine „Interventionen, Einmischungen oder sonstige Handlungen aus dem Ausland“ akzeptiert werden – insbesondere keine „Staatsstreiche, Wahlbeeinflussungen oder Verletzungen des mexikanischen Staatsgebiets zu Land, zu Wasser, zur See oder in der Luft“.
Ein weiterer zentraler Punkt der Reform ist die Verschärfung der Strafen für den Waffenhandel. Festgelegt wurde, dass jede Person – unabhängig von ihrer Nationalität – die an der Herstellung, dem Vertrieb, dem Transport oder der illegalen Einfuhr von Waffen nach Mexiko beteiligt ist, die höchstmögliche Strafe bekommt und in Untersuchungshaft muss. Da über 70 % der von den mexikanischen Kartellen verwendeten Waffen aus den Vereinigten Staaten stammen, richtet sich diese Maßnahme offenbar in erster Linie gegen US-amerikanische Staatsbürger*innen.
Beginn der Wahlkampagnen für Justizämter
Am 30. März begannen die Wahlkampagnen für die Justiz, die am 1. Juni mit einer historischen Abstimmung enden werden: Fast 100 Millionen Wahlberechtigte erhalten dann die Möglichkeit, 881 Bundesrichter*innenposten aus insgesamt 3.422 Kandidaturen zu wählen – ein Ergebnis der Verfassungsreform, die im September unter dem damaligen Präsidenten Andrés Manuel López Obrador (Amtszeit 2018–2024) verabschiedet wurde.
Präsidentin Claudia Sheinbaum erklärte dazu, dass „Mexiko das demokratischste Land der Welt“ sein werde, da die Bevölkerung künftig über alle drei Staatsgewalten mitbestimme. Kritik kommt jedoch von der Opposition sowie von nationalen und internationalen Menschenrechtsorganisationen: Sie warnen vor erheblichen Risiken, insbesondere vor möglicher Einflussnahme durch die Exekutive und das organisierte Verbrechen auf das mexikanische Justizsystem.
Zwei Wochen nach Beginn der Wahlkampagnen veröffentlichte die Organisation Defensorxs (deutsch: Verteidiger*innen) auf ihrer Website „Justicia en la mira“ (deutsch: Justiz im Visier) einen Bericht, in dem sie mindestens ein Dutzend Kandidat*innen benennt, denen Verbindungen zum Drogenhandel, zu Sexualdelikten, Mord oder zur Beteiligung an politisch-religiösen Sekten vorgeworfen werden. Zudem dokumentierte die Organisation, dass verschiedene Wahlkampagnen auf der kulturellen und symbolischen Aneignung indigener Gemeinschaften basieren. Auch die Mexikanische Bischofskonferenz (CEM) äußerte sich besorgt über die Justizwahl: „Wir haben die Befürchtung, dass diese Ämter in die Hände des organisierten Verbrechens fallen könnten, dass Kandidat*innen ins Amt kommen, die nur auf bestimmte Interessen zugeschnitten sind – Menschen, die nicht die geeignetsten für solche Positionen sind.“
Krise der Verschwundenen hält an
Im März kam es landesweit zu Protesten im Rahmen einer nationalen Trauer für die Verschwundenen, nachdem in Teuchitlán im Bundesstaat Jalisco ein mutmaßliches „Vernichtungszentrum“ entdeckt worden war. Der Ort, der offenbar vom Cártel Jalisco Nueva Generación (CJNG) genutzt wurde, um Leichen zu entsorgen und neue Rekruten auszubilden, war bereits 2024 von der Nationalgarde inspiziert worden – allerdings ohne eine vollständige Untersuchung. Das Gelände wurde am 5. März vom Kollektiv „Guerreros Buscadores de Jalisco“ nach einem anonymen Hinweis erneut entdeckt. Die Mitglieder des Kollektivs fanden Verbrennungsöfen, menschliche Überreste sowie zahlreiche persönliche Gegenstände wie Schuhe, Rucksäcke und Kleidung. Ein mutmaßlicher Überlebender des „Rancho Izaguirre“ berichtete, dass Menschen, die Befehle nicht befolgten oder als schwach galten, ermordet wurden.
Beim Einsatz der Nationalgarde im Jahr 2024 wurden zwar zehn Personen festgenommen, doch die Einsatzkräfte entdeckten damals keinen einzigen der mittlerweile gefundenen 1.300 Gegenstände. Beweismaterial belegt, dass die menschlichen Überreste bereits zum Zeitpunkt der damaligen Inspektion durch die Staatsanwaltschaft von Jalisco vorhanden waren. Die Generalstaatsanwaltschaft der Republik bestätigte inzwischen, dass die Staatsanwaltschaft des Bundesstaates Jalisco bei ihren Ermittlungen zahlreiche Versäumnisse begangen hat.
Claudia Sheinbaum reagierte auf den Fall mit der Aufforderung zu Zurückhaltung, bevor voreilige Schlüsse gezogen würden. Dafür wurde sie kritisiert: Ihr wurde vorgeworfen, das Ausmaß der Verschwundenenkrise zu verharmlosen und einen Umgang zu verfolgen, der die Suchkollektive von Müttern verschwundener Personen an den Rand drängt. Ihre Strategie scheint darauf abzuzielen, zu verhindern, dass der Fall zu einem politischen Skandal von ähnlicher Tragweite wie Ayotzinapa wird, und die Verantwortung der Regierung für die anhaltende Krise der Verschwundenen möglichst zu relativieren.
Im April aktivierte der UN-Ausschuss gegen das Verschwindenlassen (CED) erstmals in seiner Geschichte Artikel 34 der Konvention gegen das Verschwindenlassen und forderte von Mexiko dringend Informationen an. Zugleich wurde die Möglichkeit einer Einschaltung der Generalversammlung der Vereinten Nationen eröffnet. Der Artikel besagt: „Erhält der Ausschuss Informationen, die nach seiner Einschätzung gut begründete Hinweise darauf enthalten, dass das Verschwindenlassen in einem Vertragsstaat in systematischer oder weit verbreiteter Weise praktiziert wird, so kann er, nachdem er vom betroffenen Staat alle relevanten Informationen zu dieser Situation angefordert hat, die Angelegenheit mit äußerster Dringlichkeit der Generalversammlung der Vereinten Nationen zur Prüfung vorlegen.“ Olivier de Frouville, der Vorsitzende des Ausschusses, betonte, dass sich Mexiko in einer „besorgniserregenden Lage“ befinde und es daher notwendig gewesen sei, vorsorgliche Maßnahmen zu ergreifen.
Sheinbaum wies die Existenz des gewaltsamen Verschwindenlassens durch den Staat zurück und erklärte, das Phänomen sei in erster Linie auf das organisierte Verbrechen zurückzuführen. Die Regierung unternehme alles in ihrer Macht Stehende, um dagegen vorzugehen. Der Präsident des mexikanischen Senatspräsidiums, Gerardo Fernández Noroña, übte ebenfalls scharfe Kritik am Vorsitzenden des UN-Ausschusses und kündigte an, Sanktionen gegen den Funktionär fordern zu wollen.
Am folgenden Tag besetzten Angehörige von Verschwundenen und Suchkollektive symbolisch den Sitz des Senats in Mexiko-Stadt. Auf Bannern, die an den Gittern rund um das Gebäude befestigt wurden, war zu lesen: „Geschlossen wegen fehlendem Engagement für die Angehörigen von Verschwundenen“ oder „Leugnen und Verbergen heißt Verschwindenlassen – über 127.000 Verschwundene“. Zugleich prangerten sie an, dass auch die Familienangehörigen, die ihre verschwundenen Angehörigen suchen, zunehmend Ziel von Bedrohungen und Angriffen werden. Seit 2010 wurden mindestens 27 dieser Suchenden ermordet. Drei weitere Frauen, die sich auf die Suche nach Vermissten begeben hatten, gelten aktuell selbst als verschwunden.
Menschenrechtsverteidiger*innen und Journalist*innen: Gefährdete Gruppen
Im April veröffentlichte die Organisation „Artículo 19“ den Bericht „Informationsbarrieren: Herausforderungen für die Meinungsfreiheit und den Zugang zu Informationen“, der die zentralen Hürden aufzeigt, mit denen Mexiko im Bereich der Meinungsfreiheit, Informationsfreiheit und Pressegewalt konfrontiert ist. Dem Bericht zufolge wurden im Jahr 2024 insgesamt 639 Angriffe auf Medienschaffende registriert, darunter die Ermordung von fünf Journalist*innen. Dies entspricht einem Anstieg von 13,9 % gegenüber dem Vorjahr. Im Durchschnitt also ein Angriff alle 14 Stunden. Besonders kritisch bewertet „Artículo 19“, dass die Sonderstaatsanwaltschaft für Straftaten gegen die Meinungsfreiheit (FEADLE) trotz der ernsten Lage im vergangenen Jahr lediglich 84 Ermittlungsverfahren übernahm. Die Organisation warnte zudem vor dem zunehmenden Einsatz gerichtlicher Schikanen als Mittel der Zensur. Besonders alarmierend: Der mexikanische Staat blieb mit 44,91 % der Fälle der Hauptverantwortliche für die dokumentierten Übergriffe.
Im April veröffentlichte das „Centro Mexicano de Derecho Ambiental, CEMDA“ (deutsch: Mexikanische Zentrum für Umweltrecht) seinen elften Bericht zur Lage von Einzelpersonen und Gemeinschaften, die sich für die Verteidigung der Umwelt- und Landrechte in Mexiko einsetzen. Dem Bericht zufolge wurden im Jahr 2024 insgesamt 25 Umwelt- und Gebietsschutzaktivist*innen ermordet, 45 % von ihnen gehörten indigenen Gemeinschaften an. Zwischen 2020 und 2024, also in den letzten fünf Jahren der Regierung von Andrés Manuel López Obrador und den ersten drei Monaten unter Claudia Sheinbaum, wurden insgesamt 1.428 Angriffe auf Umweltverteidiger*innen dokumentiert, darunter 189 Morde. Der Bericht weist zudem auf die wachsende Beteiligung staatlicher Akteur*innen an diesen Übergriffen hin. Die Bundesstaaten mit den höchsten Gewaltraten gegen Umweltaktivist*innen waren Oaxaca, Mexiko-Stadt und Chiapas.
CHIAPAS: „Wir haben den Frieden geschaffen – jetzt folgen Entwicklung und Fortschritt“, so ERA
Am 15. März fand in Tapachula der Bericht über die ersten 100 Tage der Amtszeit von Eduardo Ramírez Aguilar (ERA) als Gouverneur von Chiapas unter dem Titel „100 Tage Frieden“ statt. In seiner Rede hob er insbesondere die Themen Sicherheit und Großprojekte hervor. Bezüglich der Sicherheitslage erklärte Ramírez Aguilar, Chiapas belege derzeit den zweiten Platz unter den sichersten Bundesstaaten des Landes. Auch die Präsidentin der Republik habe die Sicherheitsstrategie anerkannt und ihn zu einem Treffen mit weiteren Gouverneuren eingeladen, um eine mögliche Übernahme des Modells zu besprechen. Unternehmer*innen und Produzent*innen in Chiapas äußerten sich jedoch: „Zu Beginn gab es tatsächlich mehr Einsätze und stärkere Überwachung, aber die Kriminalität ist nach wie vor präsent. Solange sich daran nichts ändert, bleibt die Wirtschaft weiterhin im Stillstand.“
Anlässlich seines 36-jährigen Bestehens erklärte das „Centro de Derechos Humanos Fray Bartolomé de Las Casas (Frayba)“:
„Es ist wichtig zu betonen, dass es keinen Frieden geben wird, solange die bewaffneten Gruppen, die mit dem organisierten Verbrechen und mit Machtstrukturen verbunden sind, die sich seit Jahrzehnten im Bundesstaat Chiapas verfestigt haben, nicht zerschlagen, juristisch verfolgt und entwaffnet werden. (…) Frieden bedeutet nicht, dass es eine Pause oder ein kurzes Aufatmen mit weniger Zusammenstößen gibt. Er muss durch Prozesse der Gerechtigkeit aufgebaut werden.“
Die wirtschaftlichen Schlüsselprojekte von ERA, die Autobahn San Cristóbal–Palenque
Im Februar nahm Gouverneur Eduardo Ramírez Aguilar in Bachajón, Gemeinde Chilón, an einer öffentlichen Konsultation zum Bau der Autobahn Palenque–Ocosingo teil, einem zentralen Infrastrukturprojekt seiner Regierung. Der Vorschlag wurde laut offiziellen Angaben „einstimmig“ von den anwesenden Ejido-Gemeinschaften (ländlichen Gemeindebesitzern) angenommen.

Pressekonferenz von MODEVITE und der kommunalen Selbstverwaltung von Chilón, San Cristóbal de las Casas, April 2025 © SIPAZ
Im Anschluss äußerte sich das „Movimiento en Defensa de la Vida y el Territorio (Modevite)“ (deutsch: Bewegung der Verteidigung des Lebens und des Territoriums“), ein Zusammenschluss von Tseltal-, Tsotsil- und Chol-Gemeinschaften aus 13 Gemeinden der Hochland- und Regenwaldregionen von Chiapas, mit klarer Ablehnung gegenüber dem Autobahnprojekt: „Wir wollen keine weitere Zerstörung von Mutter Erde und unserer Kultur. Heute erheben wir erneut unsere Stimme gegen ein Projekt, das uns unseres Territoriums berauben will. Eines Landes, das reich an Wasser, Bäumen und vielfältigen natürlichen Ressourcen ist. Dieses Projekt steht sinnbildlich für das Altbekannte: Kolonialismus, Rassismus und die Bevorzugung der Interessen großer transnationaler Konzerne, extraktivistischer Unternehmen, des Drogenhandels und der Regierung.“
Die Gemeinderegierung von Chilón berichtete, dass „einige Gemeinden Drohungen von Ingenieuren erhalten haben, die Bodenproben entnehmen. Dabei wurde angedroht, dass sie beim nächsten Mal von der Pakal-Sofortreaktionseinheit (FRIP) begleitet würden, was bei der Bevölkerung Angst und Furcht auslöse.“ Weiterhin erklärte sie, dass das Projekt „von Anfang an von Unregelmäßigkeiten und Verletzungen unserer Rechte als indigene Völker geprägt sei, da Bodenuntersuchungen ohne unsere Zustimmung und ohne vorherige Information über Zweck und Verwendung durchgeführt wurden.“ Zudem wurde kritisiert, dass „einige Gemeindeverantwortliche, die eigentlich die Stimme des Volkes sein sollten, tatsächlich eigene Entscheidungen treffen, ohne die Gemeinschaften zu konsultieren. Außerdem berichten sie nicht über den Fortschritt des Autobahnbaus, wodurch sie gegen die internen Satzungen unserer Ejidos verstoßen.“ Abschließend machte die Gemeinderegierung deutlich: „Wir sind nicht gegen Fortschritt; als indigene Völker verstehen wir und glauben an das Lequil Cuxlejal (gutes Leben), das jedoch nicht möglich ist, wenn man über uns hinweggeht, unser Land zerstört und uns enteignet.“
Im März fand eine öffentliche Anhörung mit dem Titel „Die Autobahn gehört uns, die Route der Maya-Kulturen“ statt, die von der Regierung in den Gemeinden Palenque, Ocosingo, Chilón, Salto de Agua und Tumbalá organisiert wurde. Die Behörden berichteten, dass mit über 39.000 Ja-Stimmen der Bau des ersten Abschnitts der Autobahn San Cristóbal–Palenque genehmigt wurde. Wichtig ist dabei zu betonen, dass es sich um eine öffentliche und keine indigene Konsultation handelte, die die spezifischen Anforderungen und Rechte indigener Völker nicht erfüllte.
Angesichts dessen äußerten Mitglieder*innen von MODEVITE und der Gemeinderegierung des Landkreises Chilón ihre Ablehnung gegenüber dem Projekt sowie gegenüber den Volksbefragungen. Sie teilten mit, dass sie zwei Verfassungsklagen aufgrund rechtlicher Lücken im Konsultationsrecht und wegen mangelnder öffentlicher Informationen über das Projekt selbst, eingereicht hätten. Sie wiesen darauf hin, dass die direkt von der Autobahn betroffenen Gemeinden nicht konsultiert wurden und dass die Mehrheit der Abstimmenden aus den Gemeindehauptorten stammte.
Pilgerfahrten, Proteste, Veranstaltungen und andere organisatorische Bemühungen
Vom 13. bis 19. April fand das Treffen für Kunst, Rebellion und Widerstand statt, zu dem die Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) aufgerufen hatte. Es begann im Caracol Jacinto Canek (Landkreis Tenejapa) und wurde anschließend in den Räumlichkeiten des CIDECI Uni-Tierra in San Cristóbal de las Casas fortgesetzt.
Mehr als 1000 Künstler*innen aus 28 verschiedenen Regionen nahmen teil und präsentierten unter anderem vielfältige Kunstformen wie Tanz, Gesang, Zirkuskunst und Handwerk. Bei der Abschlussveranstaltung prangerte Subcomandante Moisés an, dass Agenten der Nationalgarde sowie der Eingreiftruppe „Fuerza de Reacción Inmediata Pakal“ (FRIP) vor den Einrichtungen des CIDECI Uni-Tierra auftauchten. Im Mai, nach mehreren nationalen und internationalen Mobilisierungen, gelang die Freilassung der beiden EZLN-Mitglieder José Baldemar Sántiz Sántiz und Andrés Manuel Sántiz Gómez, die am 24. April im Landkreis Aldama festgenommen worden waren. Das EZLN veröffentlichte dazu: „Dieser Erfolg – die Freilassung unserer beiden unschuldigen compañeros war das Ergebnis eines dreifachen Einsatzes: dem der Menschenrechtsverteidiger*innen, der nationalen und internationalen Solidarität und Unterstützung sowie der autonomen Justiz.“
Im April prangerten sowohl das Netzwerk für die Rechte von Kindern und Jugendlichen in Chiapas (REDIAS) als auch das feministische Gemeinschaftsbündnis „Pronunciamiento Feminista Comunitario“ den Feminizid an zwei jungen Tzotzil-Frauen im Alter von 18 und 14 Jahren an, deren Leichen in San Juan Chamula gefunden wurden. Beide Organisationen erklärten, es handele sich eindeutig um einen Feminizid, und wiesen die Darstellung der Generalstaatsanwaltschaft des Bundesstaates entschieden zurück, die von einem „Verbrechen aus Leidenschaft“ sprach. Sie kritisierten, dass solche Klassifizierungen die Opfer erneut zu Opfern machen und die geschlechtsspezifische Gewalt als strukturelle Ursache der Morde ausblenden. Außerdem berichteten sie, dass allein in den ersten drei Monaten des Jahres 452 Ermittlungsakten wegen Straftaten gegen Frauen eröffnet wurden, darunter sieben Morde, vier Mordversuche, vier Feminizide und vier versuchte Feminizide.
Im Mai, anlässlich des ersten Jahrestages des Massakers an elf Menschen im Ejido Nuevo Morelia in Chicomuselo durch kriminelle Gruppen, fand eine Pilgerfahrt mit Angehörigen der Opfer und mehr als tausend Mitgliedern der Diözese von San Cristóbal statt.
Es wurde betont: „Wir leben in schwierigen Zeiten, voller Schmerz, Empörung und Ohnmacht angesichts der Gewalt, die wir erlitten haben und deren Opfer wir weiterhin sind. Seit vielen Jahren prangern wir die Welle der Ungerechtigkeiten, die Verletzung unserer individuellen und kollektiven Menschenrechte und den Raubbau an mineralischen Rohstoffen an und wurden nie gehört.“ „Unsere Stimmen wurden mit Waffen zum Schweigen gebracht, wir wurden gezwungen, als menschliche Schutzschilde bei Auseinandersetzungen zwischen kriminellen Gruppen zu dienen, wir wurden von denen geschlagen, die eigentlich für die Sicherheit unserer Gemeinden verantwortlich sein sollten. Wir sahen uns gezwungen, unsere Dörfer zu verlassen, um unser Leben zu retten und wir kehrten nicht zurück, weil der Staat für Sicherheit gesorgt hätte, sondern aus Angst, unser Hab und Gut zu verlieren.“
Des Weiteren fügten sie hinzu: „Es wird viel darüber gesagt, dass der Frieden in unsere Dörfer zurückgekehrt sei, doch aus unserem Glauben und unserer Hoffnung heraus wissen wir, dass Frieden kein leeres Wort ist, sondern aus Gerechtigkeit erwächst. (…) Als Völker von Chiapas brauchen wir einen echten Frieden, keinen Frieden, der mit Militarisierung gleichgesetzt wird, sondern einen Frieden, in dem wir frei von Gewalt, Bedrohung und Einschüchterung leben können, und in dem der Rechtsstaat für alle wiederhergestellt wird.“
OAXACA: Einer der Bundesstaaten mit der höchsten Zahl an Übergriffen auf Menschenrechtsverteidiger*innen
Im Februar informierte die „Unión de Comunidades Indígenas de la Zona Norte del Istmo“ (Ucizoni – Vereinigung der indigenen Gemeinden der Nordzone des Isthmus) über die vorübergehende Schließung ihrer Büros aufgrund von Drohungen und des vorherrschenden Klimas der Gewalt gegen ihre Anwält*innen in der Region. Hintergrund ist, dass am 13. Februar drei Menschen im Zusammenhang mit dem Landkonflikt zwischen Santo Domingo Petapa und San Juan Mazatlán Mixe getötet wurden. Ucizoni forderte außerdem ein Ende der Stigmatisierungskampagnen gegen sie wegen ihres Engagements für die Verteidigung der Menschenrechte.
Ebenfalls im Februar wurde Cristino Castro Perea in Barra de la Cruz ermordet. Das Büro des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte (UNO-HCHR) hob hervor, dass sein Kollektiv „Defensores Ambientalistas de Barra de la Cruz“ (Umweltverteidiger von Barra de la Cruz) seit 2023 vom föderalen Schutzmechanismus für Menschenrechtsverteidigerinnen und Journalistinnen unterstützt wird. Die UNO rief die Behörden dazu auf, den Schutz der Mitglieder des Kollektivs zu gewährleisten und eine zügige sowie wirksame Untersuchung durchzuführen. Der Mord an Castro ist nicht der erste Angriff auf Menschenrechtsverteidiger*innen in der Region: 2021 wurde José Castillo Castro, ein Gemeindevorsteher, ebenfalls angegriffen, und 2018 wurde Noel Castillo Aguilar vom „Comité de Defensa de los Derechos Indígenas“ (Komitee zur Verteidigung der indigenen Rechte, Codedi) ermordet. Beide Verbrechen bleiben weiterhin ungesühnt.
Im März berichtete die zapotekische Menschenrechtsverteidigerin Silvia Pérez Yescas von zahlreichen Übergriffen und Drohungen durch bewaffnete lokale Gruppen. Zugleich teilte die Gründerin der Organisation „Mujeres Indígenas por la Conservación, Investigación y Aprovechamiento de los Recursos Naturales“ (CIARENA – Indigene Frauen für den Schutz, die Forschung und nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen) mit, dass die Organisation aus demselben Grund weiterhin geschlossen bleibt.
Im April wurden im Bundesstaat Veracruz die Leichen der indigenen Mixe-Aktivistin Sandra Estefana Domínguez Martínez und ihres Ehemanns Alexander Hernández Hernández gefunden. Beide galten seit Oktober 2024 als vermisst, kurz nachdem Sandra öffentlich Beamte der Regierung von Oaxaca wegen geschlechtsspezifischer Gewalt gegen indigene Ayuuk-Frauen angeklagt hatte. Nach Bekanntwerden der Nachricht erklärten Sandras Angehörige und begleitende Organisationen: „Nach 206 Tagen voller Angst, endloser Nächte und eines unermüdlichen Kampfes, um ihre Rückkehr zu fordern, müssen wir heute mit gebrochenem Herzen bestätigen, dass wir Sandra gefunden haben. (…) Sie wird immer als unermüdliche Verteidigerin in Erinnerung bleiben. Als Ayuuk-Frau hat sie sich der Verteidigung ihres Volkes und aller indigenen Frauen verschrieben, die unter Gewalt oder Diskriminierung leiden.“
Ebenfalls im April berichtete Emelia Ortiz García, Mitglied der „Movimiento Unificador de Lucha Triqui“ (MULT – Vereinigte Bewegung des Triqui-Kampfes), dass in ihre Wohnung eingebrochen worden sei und dabei Beweismaterial zu Gewaltfällen sowie persönliche Gegenstände gestohlen wurden. Sie hob hervor, dass bereits zweimal zuvor Unbekannte in Räume eingedrungen seien, in denen sie ihre Unterlagen aufbewahrt, und dabei Dokumente entwendet hätten, die sich auf Fälle ermordeter oder verschwundener MULT-Mitglieder beziehen.
Ebenfalls im April forderten mehr als 20 nationale und internationale Organisationen ein Ende der Schikanen und der Kriminalisierung von 24 Angehörigen der Ayuujk- und Binizaa-Gemeinschaften, die sich gegen die Aufzwingung des Interozeanischen Korridors im Isthmus von Tehuantepec stellen. „Angesichts der mangelnden Reaktion auf ihre Forderungen haben sie legitime Maßnahmen zur Verteidigung ihrer Territorien und Lebensprojekte ergriffen. Deshalb sehen sie sich nun ungerechten Gerichtsverfahren ausgesetzt, die ihre Widerstandsbewegung zum Schweigen bringen sollen“, erklärten sie.
Im April fand in Santa María Atzompa das Zweite Forum zur Verteidigung des Territoriums und des Gemeineigentums in Oaxaca statt. An dem Treffen nahmen Vertreter*innen von 30 sozialen Organisationen und 72 Gemeinden teil. Die Teilnehmenden prangerten an: „Die sogenannte zweite Etappe der Vierten Transformation bedient sich einer doppelten Rhetorik: Einerseits wird von Entwicklung und Wohlstand für die Gemeinden gesprochen, während in der Realität lediglich die industrielle Expansion mit extraktivistischem Ziel weiter vorangetrieben wird.“ Sie fügten hinzu: „Wir erleben einen offenen Landraub, bei dem sich Legalität mit der Gewalt des organisierten Verbrechens verbündet.“
GUERRERO: „Unaufhaltsame Gewalt, ungebrochene Straflosigkeit“
Im April wurde Marco Antonio Suástegui, Sprecher des „Rates der Ejidos und Gemeinden gegen das Staudammprojekt La Parota“ (CECOP), in Acapulco angeschossen. Einige Tage später starb er aufgrund der Verletzungen.
„Die Ermordung von Marco Antonio Suástegui Muñoz ist ein schwerer Schlag für die soziale Bewegung in Guerrero und ein Alarmsignal für all jene Aktivistinnen und Aktivisten, die an vorderster Front für die Rechte der vergessenen und verfolgten Bevölkerung unseres Bundesstaates kämpfen. Dieses gewaltvolle Umfeld, das unseren Staat in Geiselhaft des organisierten Verbrechens hält, ist ein ernstes Zeichen für den Verfall der staatlichen Institutionen und für das Versagen der Behörden, die ihre Verantwortung aufgegeben haben, den Rechtsstaat durchzusetzen“, erklärte das Menschenrechtszentrum Tlachinollan im Bulletin „Unaufhaltsame Gewalt, ungebrochene Straflosigkeit“.
Kurz darauf berichtete Samantha Valeria Colón Morales, Ehefrau des verschwundenen Aktivisten Vicente Suástegui, dass sie nach der Ermordung ihres Schwagers Marco Antonio Suástegui Morddrohungen erhalten habe. Man habe ihr gesagt: „Wir haben deinen Mann Vicente schon verschwinden lassen, Marco Antonio ist bereits getötet worden und du wirst die Nächste sein.“
In einem weiteren Konflikt um Land- und Territoriumsrechte ist in den vergangenen Wochen die Spannung zwischen der Bevölkerung von Carrizalillo und dem Bergbauunternehmen Equinox Gold erneut aufgeflammt, der dritten transnationalen Firma, die in den letzten 20 Jahren in dieser Region Gold abgebaut hat. Nach Angaben der Ejido-Gemeinschaft dient das Vorgehen des Unternehmens dem Zweck, Druck auf die Gemeinde auszuüben, damit diese ein neues Nutzungsabkommen unterzeichnet. Dieses würde die Mietzahlungen um 65 % kürzen und soziale Leistungen streichen, darunter auch die Unterstützung beim Kauf von Medikamenten für Bewohner*innen, die aufgrund der Luftverschmutzung und anderer durch den Bergbau verursachter Faktoren erkrankt sind. Die Gemeinde forderte das Unternehmen auf, „unverzüglich mit dem Prozess der Wiederherstellung und Sanierung unseres Landes, der Flora und Fauna sowie der erforderlichen Maßnahmen zur Eindämmung der steigenden Emissionen und Umweltschäden zu beginnen – alles im Einklang mit dem geltenden Rechtsrahmen.“
Nahezu 100 Organisationen aus Kanada, über 66 Netzwerke und Organisationen aus Mexiko sowie weitere 31 Organisationen aus 12 Ländern richteten ein Schreiben an Equinox Gold, um ihre Besorgnis über die Bedrohungen, Gewalt und juristische Verfolgung gegen die Gemeinde Carrizalillo im Zusammenhang mit der Neuverhandlung des Pachtvertrags auszudrücken. In dem Schreiben heißt es: „Staatsbedienstete des Bundesstaates Guerrero waren Teil der Druck- und Zwangsmaßnahmen zur Durchsetzung des Abkommens und haben dabei die Rechte der Gemeinde missachtet.“
Im Rahmen des Internationalen Frauentags (8. März) gingen in Guerrero tausende Frauen auf die Straße, um ein Ende der Gewalt und der Feminizide zu fordern. Laut der „Asociación Guerrerense contra la Violencia hacia las Mujeres“ (deutsch: Guerrerensische Vereinigung gegen Gewalt an Frauen) wurden im Bundesstaat zwischen 2022 und 2025 insgesamt 432 Frauen ermordet. Im Fall der Region Montaña erklärte das Menschenrechtszentrum Tlachinollan: „Weder die kommunalen, noch die staatlichen oder bundesstaatlichen Behörden interessieren sich für die Gewalt gegen Frauen. Tlachinollan hat von 2006 bis 2025 insgesamt 130 Feminizide registriert, doch die Institutionen haben keine Ermittlungen durchgeführt. Im Gegenteil, den Opfern wurde die Gerechtigkeit verweigert. Die Täter von Feminiziden sind frei und genießen volle Straflosigkeit.“